Die Antwort auf Fragen, die mit „Bin ich eigentlich die einzige Person …“ anfangen, ist grundsätzlich „Nein“.
BDSM in der Wissenschaft
BDSM ist Teil der persönlichen Sexualpräferenz und damit Teil der eigenen Sexualität. In unserer Gesellschaft bestehen jedoch viele Vorurteile und falsche Vorstellungen über BDSM, weshalb wir im Folgenden einen Blick auf den historischen Ursprung von BDSM und dessen Pathologisierung werfen möchten.
Entstehungsgeschichte
Seinen westlichen Ursprung hat BDSM im 19. Jahrhundert. Der österreichische Arzt und Psychiater Richard von Krafft-Ebing schöpft die Begriffe Sadismus und Masochismus und führt sie 1886 in seinem Werk Psychopathia Sexualis in die Medizin ein. Davor war das Lustempfinden beim Zufügen bzw. Empfangen von Schmerzen nicht von speziellem Interesse für westliche Medizin und Gesellschaft. Der Begriff Sadismus ist angelehnt an Marquis de Sade, Masochismus an Leopold von Sacher-Masoch.
Die Bezeichnung Sadomasochismus wird zuerst 1913 durch den österreichischen Psychoanalytiker Isidor Sadger genutzt.
Pathologisierung
BDSM wird zumeist als „das Andere“, folglich nicht-normale, perverse im Gegensatz zur als „normal“ gelesenen Sexualität konstruiert und oft auch als Gewalt (miss)gedeutet. Das Verständnis von BDSM als soziale und sexuelle Pathologie beginnt bereits im 19. Jahrhundert und hält teilweise bis heute an. Krafft-Ebings oben angesprochene Ausführungen zu Sadismus und Masochismus basierten auf seinen eigenen Beobachtungen, Illustrationen und literarischen Figuren. Er war forensischer Psychiater und seine Untersuchungsgruppe bestand aus Sexualstraftäter*innen und bezog sich nur auf gewaltsame, nicht-konsensuelle Handlungen. Seine Daten waren also stark verzerrt und nicht repräsentativ, sind aber teilweise bis heute Bestandteil sexologischer Forschungen zu BDSM.
1948 wurde sexuelle Devianz im ICD-6 (einem Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen) erstmalig als offizielle psychiatrische Diagnose eingeführt, 1965 entstanden im ICD-8 Subkategorien zu BDSM. Auch der ICD-10 führt noch BDSM-Praktiken auf, hier unter der Kategorie Disorders of sexual preference. Nicht-konsensuelle sexuelle Präferenzen wie Pädophilie sind in dieser Gruppe mit konsensuellen, also BDSM-Vorlieben und -Handlungen zusammengeführt, wodurch Letztere mehrfach pathologisiert und stigmatisiert werden. Im kommenden ICD-11 wird jedoch nur noch von sexuellen Präferenzen die Rede sein, die sich gegen den Willen des Gegenübers wenden oder sich auf Menschen beziehen, die in Handlungen nicht einwilligen können. Damit werden konsensuelle Vorlieben wie BDSM nicht mehr pathologisiert.
Gesellschaftliche Repräsentation
Nicht nur unter Nicht-BDSMler*innen, sondern auch unter BDSMler*innen ist noch immer die Annahme weit verbreitet, dass man entweder auf BDSM steht oder eben nicht. „Ein bisschen BDSMler*in“ gibt es folglich auch nicht.
Dem stehen jedoch Studienergebnisse(*) gegenüber, nach denen abhängig von der Fragestellung bis zu 50% der Befragten Interesse oder sogar Spaß an BDSM-Praktiken haben und diese auch teilweise in ihr Sexleben einbinden. Daraus folgt, dass zwischen BDSMler*innen und Nicht-BDSMler*innen keine genaue Grenze gezogen und damit auch keine exakte Angabe zur gesellschaftlichen Respräsentation gemacht werden kann.
BDSM wird auch in den Medien dargestellt; beispielhaft seien der Film „Secretary“ oder die Bücher „50 Shades of Grey“ genannt. Durch sie wird der Gesellschaft das Thema BDSM etwas näher gebracht, auch wenn missverständliche oder falsche Darstellungen zu problematischen Vorstellungen führen können.
(*): Auszug:
- Bauer, R. (2014). Queer BDSM Intimacies: Critical Consent and Pushing Boundaries. London: Palgrave. 10.1057/9781137435026
- Holvoet, L.; Huys, W.; Coppens, V.; Seeuws, J.; Goethals, K.; Morrens, M. (2017). Fifty Shades of Belgian Gray: The Prevalence of BDSM-Related Fantasies and Activities in the General Population. The Journal of Sexual Medicine, 14.9, 1152-1159. 10.1016/j.jsxm.2017.07.003